Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den diesjährigen Weltgesundheitstag am 7. April unter das Motto Altern und Gesundheit gestellt. Im Fokus steht die steigende Lebenserwartung und deren Konsequenzen für die Gesellschaft und jeden Einzelnen. Was in diesem Kontext die regenerative Medizin leisten kann, darüber gibt Prof. Dr. Frank Emmrich, Direktor des Translationszentrums für Regenerative Medizin der Universität Leipzig, Auskunft. Frage: Die WHO prognostiziert bis 2050 für Europa eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81 Jahren. Nun sind wir durch die moderne Medizin gewohnt, weitgehend gesund und aktiv durchs Leben zu kommen. Lässt sich diese Erwartung auch auf den verlängerten dritten Lebensabschnitt übertragen?
Prof. Dr. Frank Emmrich: Wir müssen neue Paradigmen finden, wie Heilungsprozesse anzugehen sind. Bislang ist die Medizin stark von Apparaten geprägt; mit diesem Ansatz konnten viele, gerade auch akute gesundheitliche Probleme gelöst werden. Doch während der jüngere Organismus die gerätebasierte Medizin vergleichsweise gut bewältigen kann, fällt dies dem älteren, gebrechlicheren Organismus schwerer. Das erfordert den besagten Paradigmenwechsel. An diesem Punkt setzt die regenerative Medizin an.
Frage: Mit dem Begriff Regeneration verbinden sich Stichworte wie „Selbstheilung des Körpers“. Wie weit ist die regenerative Medizin bisher gekommen? Bietet sie einen Schlüssel für hohe Lebensqualität im hohen Alter?
Prof. Dr. Frank Emmrich: Seit kurzem wissen wir mehr darüber, wie endogene Regeneration – die Selbstheilung des Körpers – auf molekularer Ebene funktioniert. Bis in das hohe Alter sind Stammzellen im Körper verfügbar. Darauf gründet die Hoffnung, Zellen – und darauf aufbauend Gewebe, Organpartien und Organe – ersetzen zu können, die bei chronischen Erkrankungen nicht mehr in hinreichender Qualität erneuert werden.
Frage: Können Sie bitte ein, zwei Beispiele aufzeigen, an denen Heilung i. S. von Regeneration deutlich wird?
Prof. Dr. Frank Emmrich: Regenerative Forschung bedeutet nicht, alle Dimensionen der Medizin neu entwickeln zu müssen. Der erste Schritt ist zweifelsohne in der Hämatologie gegangen worden – dem Klassiker der regenerativen Zelltherapie; seit rund 30 Jahren werden in diesem Fachgebiet Stammzellen transplantiert; zunächst als Knochenmarktransplantation und mittlerweile nach stimulierter Ausschüttung angereichert aus dem Blut. Seit etwa 10 Jahren werden Verfahren für die Regeneration von Haut und Knorpel entwickelt und eingesetzt. Derzeit arbeiten viele Wissenschaftler, unter anderem auch am TRM in den Bereichen TEMAT und CELLT, an der Herstellung netzartiger Strukturen, die entweder aus Biomolekülen gewonnen oder aus vorhandenem Gewebe dezellularisiert werden. Um diese Gerüste (englisch: Scaffolds) können sich Zellen neu ansiedeln und schließlich Organe neu aufbauen. Aus meiner Sicht ist dies eine besonders spannende Perspektive.
Frage: Kann bzw. wird dieser Prozess bis zur Erzeugung spezialisierter Zellen, Gewebe und Organe führen?
Prof. Dr. Frank Emmrich: Ob und wann sich ein spezifisches Organ komplett regenerieren lässt, ist derzeit nicht absehbar. Es wird jedoch sehr intensiv an der Regeneration insulinproduzierender Zellen der Bauchspeicheldrüse oder auch von Leberzellen gearbeitet. In 10 bis 20 Jahren könnte eine solche Therapie im klinischen Alltag angekommen sein. Bei den Leberzellen könnte es auch schon früher gelingen.
Frage: Um auf das Jahr 2050 zurückzukommen – den Zeithorizont, den die WHO für ihre Prognose herangezogen hat. Wo sehen Sie die regenerative Medizin in dieser Perspektive? Wird dieser heute enorm dynamische Zweig der Medizin dann schon überholt sein oder gerade in seiner Blüte stehen?
Prof. Dr. Frank Emmrich: Hier schließt sich der Kreis zum anfangs erwähnten Paradigmenwechsel. Wenn sich die Hoffnung erfüllt, dass wir Stammzellen und ihre Wirkungsweise entschlüsseln können, dann können wir akuten und chronischen Erkrankungen wie Schlaganfall oder Diabetes, bei denen eine große Zahl von Zellen zerstört wird, eine Behandlung entgegensetzen, die spezifische Zellen an ihrem angestammten Ort erneuern kann. Dann verfügen wir über schonende Alternativen, die im Alter oft die einzig möglichen sind.
Frage: Bedeutet das, eines Tages lässt sich der menschliche Körper beliebig erneuern?
Prof. Dr. Frank Emmrich: Einzelne Gewebe oder Organe zu regenerieren und ihre Funktionszeit zu verlängern – das wird uns künftig gelingen. Aber der menschliche Organismus ist mehr als nur eine Summe seiner Organe. Es stellt sich die Frage: Was geschieht mit Immun-, Hormon-, Nerven- und anderen Systemen, die unsere Organe verbinden? Lässt sich ihr Alterungsprozess auch aufhalten? Darauf wissen wir keine Antwort.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Frank Emmrich
Translationszentrum für Regenerative Medizin (TRM) Leipzig
Telefon: +49 341 97-25500
E-Mail: frank.emmrich@medizin.uni-leipzig.de
Daniela Weber, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Translationszentrum für Regenerative Medizin (TRM) Leipzig
Telefon: +49 341/97-39610
E-Mail: presse@trm.uni-leipzig.de
Quelle: http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/235053/, 04.04.2012
Folgen Sie uns!