Alterungsvorgänge und andere Stoffwechselprozesse durch pharmakologische Wirkstoffe zielgenau beeinflussen zu können, ist eine Vision, die derzeit noch in weiter Ferne liegt. Bevor eine künstliche Steuerung möglich ist, müssen zunächst die biochemischen Grundlagen dieser zellulären Vorgänge aufgeklärt werden. Über neue Forschungsergebnisse berichtet jetzt eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Clemens Steegborn im Fachmagazin „Aging“. Wie die Bayreuther Forscher herausgefunden haben, kann der Naturstoff Resveratrol das Enzym Sirt1 aktivieren. Dabei ist die Art und der Grad dieser Aktivierung von den Strukturen der Proteine abhängig, auf die das Enzym Sirt1 einwirkt.
Abhängig von den Strukturen der Zielproteine:
die künstliche Aktivierung des Enzyms Sirt1
Sirtuine sind eine Klasse von Enzymen, die insbesondere die Funktion haben, Stoffwechsel- und Alterungsprozesse zu steuern. Im Organismus des Menschen kommen sieben verschiedene Sirtuine vor, sie werden in der Forschung als „Sirt1“ bis „Sirt7“ bezeichnet. Ihre steuernde Funktion beruht darauf, dass sie die Strukturen lebenswichtiger Proteine verändern. Genauer gesagt: Die Sirtuine spalten an ausgewählten Stellen dieser Zielproteine Acetylgruppen ab. Dieser Vorgang, die Deacetylierung, hat eine Signalwirkung für zahlreiche Vorgänge in lebenden Zellen, beispielsweise für die Erzeugung neuer Proteine aufgrund genetischer Informationen oder für den Abbau von Nährstoffen.
Im Mittelpunkt der in „Aging“ vorgestellten Studie steht das Enzym Sirt1. Der Forschergruppe um Prof. Dr. Clemens Steegborn an der Universität Bayreuth ist, in Kooperation mit Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mike Schutkowski an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Nachweis gelungen: Sirt1 kann mithilfe einer pharmakologischen Substanz aktiviert werden, so dass es seine Wirkungen auf zentrale Proteine und damit auf Stoffwechsel- und Alterungsprozesse ändert. Allerdings hat Sirt1 unter dem Einfluss einer solchen Substanz nicht bei allen Zielproteinen die gleiche Wirkung. Es hängt vielmehr von der jeweiligen Struktur eines Proteins ab, ob – und falls ja, in welcher Weise – die Aktivität von Sirt1 in Bezug auf dieses Protein angeregt wird. Zu diesem Resultat kommt auch eine andere Studie, die von Prof. Dr. David A. Sinclair an der Harvard Medical School in den USA durchgeführt wurde. Die Studie ist zeitgleich zur Veröffentlichung in „Aging“ im Forschungsmagazin „Science“ erschienen.
„Präzise zu ermitteln, wie Sirt1 auf unterschiedliche Proteine wirkt, sobald es unter dem Einfluss einer aktivierenden Substanz steht – das ist eine spannende Herausforderung für künftige Forschungsarbeiten“, erläutert Steegborn. „Nur auf der Basis derartiger Erkenntnisse lassen sich eines Tages möglicherweise Medikamente entwickeln, die Sirtuine so zielgenau aktivieren, dass diese die angestrebten Wirkungen auf Stoffwechsel- und Alterungsprozesse, aber keine schädlichen Nebeneffekte haben.“
Peptidarrays und Massenspektrometrie:
Untersuchungen mit Resveratrol als aktivierender Substanz
Die Forschungsarbeiten in Bayreuth und Halle konzentrierten sich auf Resveratrol, eine natürliche Substanz, die beispielsweise in roten Trauben und auch im Rotwein in höherer Konzentration enthalten ist. Bisher war sich die biochemische Forschung uneins, ob Resveratrol imstande ist, Sirt1 zu aktivieren. Diese Kontroverse konnte jetzt aufgelöst werden. Denn ob dieses Enzym unter dem Einfluss von Resveratrol eine gesteigerte Aktivität entwickelt, hängt davon ab, mit welchen Proteinen es in Verbindung gebracht wird. Die Wissenschaftler, die bei früheren Experimenten zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangt sind, haben also nicht falsch gemessen, sondern mit unterschiedlichen Zielproteinen gearbeitet.
Die neuen, in „Aging“ vorgestellten Ergebnisse stehen auf einer breiten experimentellen Grundlage. Zunächst wurden mehr als 6.800 verschiedene Fragmente menschlicher Proteine getestet, die eine Acetylgruppe enthalten und sich als „Angriffspunkte“ für Sirtuine eignen. Hat Sirt1 unter dem Einfluss von Resveratrol eine verstärkte deacetylierende Wirkung auf diese Proteine? Um dies herauszufinden, haben Steegborn und seine Mitstreiter aus Halle spezielle Peptidarrays eingesetzt. Dabei handelt es sich um Mikrochips, auf denen diese 6800 verschiedenen Proteinfragmente auf engstem Raum platziert sind. Wird nun das mit Resveratrol behandelte Sirt1 mit diesen Eiweißstrukturen in Kontakt gebracht, so stellt sich heraus: Sirt1 greift vergleichsweise wenige Proteinfragmente verstärkt an, um die Acetylgruppen abzuspalten. Es gibt sogar Peptide, auf die Sirt1 deshalb keine desacetylierende Wirkung hat, weil das Resveratrol dies verhindert. Und bei den meisten Proteinfragmenten konnte überhaupt kein nennenswerter Einfluss des Resveratrols auf Sirt1 festgestellt werden.
„Massenspektrometrische Untersuchungen haben diese überraschenden, mit Peptidarrays erzielten Erkenntnisse bestätigt“, erklärt Steegborn. „Daher können wir unsere Studie dahingehend zusammenfassen, dass sich die aktivierende Wirkung des Resveratrols als abhängig von der Zielproteinsequenz erwiesen hat. Denn die Unterschiede zwischen den über 6.800 Proteinfragmenten, an denen wir diese Wirkung getestet haben, ist in den darin enthaltenen Aminosäuren und deren spezieller Abfolge begründet.“
Auf dem Weg zu einer zielgenauen, hochselektiven Aktivierung von Sirtuinen
Steegborn ist durchaus zuversichtlich, dass es künftig möglich sein wird, Sirt1 zielgenau so zu aktivieren, dass daraus spezielle Wirkungen auf Stoffwechsel- und Alterungsprozesse in lebenden Organismen resultieren. Dabei richtet sich die Hoffnung keineswegs allein auf das Resveratrol, das insgesamt eine schwache und relativ breite Wirkung hat. Es beeinflusst in undifferenzierter Weise nicht nur Sirtuine, sondern auch völlig andere zelluläre Proteine. Viel interessanter als Resveratrol wären deshalb alternative Substanzen, die Sirtuine in Bezug auf wenige ausgewählte Proteinstrukturen stimulieren können. Derartige Substanzen müssen erst noch entwickelt werden. Aber mit dem Nachweis, dass Sirt1 sequenzabhängig aktiviert wird, ist die Forschung dieser Zukunftsvision einen bedeutenden Schritt näher gerückt.
Veröffentlichungen:
Mahadevan Lakshminarasimhan, David Rauh, Mike Schutkowski, Clemens Steegborn:
Sirt1 activation by resveratrol is substrate sequence-selective,
in: Aging (2013), Vol. 5 No. 3,
Advance online publication: http://www.impactaging.com/papers/v5/n3/pdf/100542.pdf
Zeitgleich ist die folgende Publikation erschienen, die in einem zentralen Punkt zum gleichen Ergebnis führt (siehe oben):
Basil P. Hubbard et al.,
Evidence for a Common Mechanism of SIRT1 Regulation by Allosteric Activators,
in: Science (2013), : Vol. 339 No. 6124, pp. 1216-1219
DOI: 10.1126/science.1231097
Beide Forschungsarbeiten werden vorgestellt und diskutiert im Editorial der neuen „Aging“-Ausgabe:
Sita Kugel and Raul Mostoslavsky,
SIRT1 Activators: The Evidence STACks up,
in: Aging (2013), Vol. 5 No. 3,
Advance online publication: http://www.impactaging.com/papers/v5/n3/pdf/100534.pdf
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Clemens Steegborn
Lehrstuhl für Biochemie
Universität Bayreuth
D-95440 Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 55 2420 oder 2421
E-Mail: clemens.steegborn@uni-bayreuth
Quelle: idw.de, 11.03.2013
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