Niedrige Geburtenzahlen, die Alterung der Bevölkerung und die zunehmende Migration innerhalb der Europäischen Union stellen die Politik vor erhebliche Herausforderungen, so ein Fazit der heute veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme von acht europäischen nationalen Wissenschaftsakademien. Die Stellungnahme formuliert unter anderem die Empfehlung, die Vorteile niedriger Geburtenzahlen zu nutzen, um die Investitionen in die Entwicklung und Bildung jedes einzelnen Bürgers zu erhöhen. Dies sei ein wichtiger Beitrag, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand in Europa zu sichern.
Die Menschen in Europa werden heute älter als jemals zuvor, und die Kinderzahl je Frau in den meisten europäischen Ländern liegt deutlich unter zwei Kindern. Die Wissenschaftsakademien fordern ein politisches Konzept, das den gesamten Lebenslauf der Menschen einbezieht und die Herausforderungen berücksichtigt, die der demografische Wandel für die Gesundheits-, Bildungs-, Arbeits- und Wohnungspolitik mit sich bringt.
Die Wissenschaftsakademien weisen in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass ein längeres Erwerbsleben neue, flexiblere Lebensläufe erforderlich macht. Gründe für die Verlängerung des Erwerbslebens sind neben der wirtschaftlichen Notwendigkeit, die Menschen länger am Arbeitsmarkt zu halten, auch Verbesserungen der persönlichen Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Es gelte, neue institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Bürgern erlauben, häufiger zwischen Lernen/Bildung, Erwerbstätigkeit und Freizeit/Familienzeit zu wechseln. Eine weitere Empfehlung der Stellungnahme bezieht sich auf die Einrichtung europäischer Standards für die Gestaltung von Berufswegen und Berufsbildung, um die psychische und körperliche Entwicklung bei der Arbeit positiv zu fördern.
Die Sprecherin der Arbeitsgruppe, Professorin Ursula M. Staudinger von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, erklärte: „Der demografische Wandel findet überall in Europa statt. Er vollzieht sich jedoch nicht in allen Ländern gleich schnell, und wir sind nicht überall gleich gut darauf vorbereitet. Wir sollten die Vielfalt und das große kulturelle Potenzial in Europa nutzen, um unsere Produktivität zu steigern und gleichzeitig natürliche Ressourcen zu schonen.“
Die Stellungnahme wirft die Frage auf, ob das Lebensalter als Hauptindikator für ihre Belastbarkeit oder Leistungsfähigkeit noch Gültigkeit hat. Sie fordert die Entwicklung weiterer Indikatoren, die auch Veränderungen im Alterungsprozess verschiedener Generationen erfassen, insbesondere die Steigerung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit älterer Menschen von einem Geburtsjahrgang zum nächsten.
Professor Günter Stock, Präsident der ALLEA (All European Academies), unterstützt die Aussagen der gemeinsamen Stellungnahme ad personam: „Die Vorstellungen davon, wie sich Beruf und Familie vereinbaren lassen, wie das individuelle Potenzial über den gesamten, längeren Lebensverlauf ausgeschöpft werden kann und wie Einwanderer aufgenommen und in die Gemeinschaft integriert werden sollten, gehen innerhalb Europas deutlich auseinander. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, betonen die Akademien, dass es weder auf die Anzahl der Geburten noch die der Einwanderer noch die der Lebensjahre ankommt, sondern darauf, die Lebensqualität und die Nachhaltigkeit der Lebensbedingungen zu erhöhen. Hier liegt der Weg zur Vereinbarkeit des demografischen Wandels mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und Umweltbedingungen.“
Unterzeichner der gemeinsamen Stellungnahme sind die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die Finnische Akademie der Wissenschaften, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Polnische Akademie der Wissenschaften, die Königlich Dänische Akademie der Wissenschaften, die Royal Society, die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften und die Akademien der Wissenschaften Schweiz.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:
Dr. Katja Patzwaldt (wissenschaftliche Referentin der Professorin Ursula M. Staudinger)
c/o Jacobs University Bremen
Jacobs Center on Lifelong Learning and Institutional Development
Campus Ring 1, 28759 Bremen
Tel.: +49 (0) 421 – 200 4709
E-Mail: k.patzwaldt@jacobs-university.de
Quelle: idw.de, 10.06.2014
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