Spätzünder im Sport


 

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Mit 56 Jahren meldete sich Detlev Mentzel für seinen ersten Marathon an. „Ich wollte wissen, was ich aus meinem Körper noch herausholen kann.“ Mittlerweile ist er 73 Jahre alt – und hat sich die Frage immer wieder gestellt – und beantwortet.

„Es gibt verschiedene Perspektiven, aus denen man das Älterwerden betrachten kann“, erklärt Michael Alexa vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. „Nach dem Defizitmodell wird Altern als Abbau oder Verlust von Fähigkeiten verstanden.“ Auf der anderen Seite haben Menschen, die nicht mehr berufstätig sind, mehr Zeit für persönliche Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung. „Aus dieser Perspektive wird Altern als Möglichkeit eines lebenslangen Lernens und sich Entwickelns betrachtet.“

Viele Menschen wollen heute länger fit bleiben, erklärt der Psychotherapeut. Die Gründe dafür sind verschieden. „Gesellschaftlichen Normen wie Leistungsfähigkeit zu entsprechen, bleibt auch im Alter wichtig“, erklärt Alexa. Wer mit dem Seniorenalter aus dem Arbeitsumfeld mit seinen Leistungsnormen ausscheidet, der versuche häufig, diese Werte in anderer Weise zu erfüllen – zum Beispiel im Sport.

Detlev Mentzel stand noch im Berufsleben, als er bei seinem ersten Marathon an den Start ging. Bei ihm war es der Gedanke an die eigene Gesundheit, der ihn zum Laufen gebracht hat: „Ich wollte mich mehr bewegen, meine Ernährung umstellen und etwas Gewicht loswerden“, erinnert er sich. Der Besuch eines Seminars zum Thema Ernährung und Bewegung, bei dem ein Marathonläufer referierte, weckte dann den Gedanken: Das schaff ich auch.

Im Laufsport sind Spätzünder keine Seltenheit: „Unsere Marathonanalysen zeigen, dass über 25 Prozent der befragten Läufer zwischen 50 bis 69 Jahren erst in den letzten fünf Jahren mit regelmäßigem Sport begonnen haben“, sagt Dieter Leyk, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln.

„Für Sport ist es fast nie zu spät“, meint Leyk. Dabei sei es für Sporteinsteiger wichtig, ein ganz persönliches Rezept zu finden. Das hängt von den eigenen Vorlieben, vom Umfeld und von den individuellen Zielen ab. Die Ziele können auch im höheren Lebensalter ganz unterschiedlich sein.

Für alle gilt: „Wer es schafft, regelmäßig und ausreichend zu trainieren, der wird in vielerlei Hinsicht profitieren“, meint Leyk. Denn durch Ausdauersport lassen sich Risikofaktoren, wie zum Beispiel Bluthochdruck senken, Kraftsport stärkt die Muskulatur. Regelmäßiges und gezieltes Training kann Senioren außerdem helfen, lange selbstständig zu bleiben. Mehr Beweglichkeit, gute Koordination und Kraftleistungen erleichtern Alltägliches wie einkaufen, sagt Leyk.

Gleichzeitig könne man sich mit einer sportlichen Leistung die eigene Vitalität und Lebendigkeit bestätigen, erklärt Alexa. „Wer im Alter einen Marathon läuft, zeigt sich selbst: Ich bin gesund und kann noch viel erreichen.“ Das sei so lange gesund, wie man die eigenen Grenzen nicht überschreitet. Ab 65 Jahren sollte sich jeder Sportler, auch ohne Risikofaktoren oder Vorerkrankungen, jährlich sportärztlich untersuchen und beispielsweise ein Belastungselektrokardiogramm durchführen lassen.

Nach seinem ersten Marathon hat sich Detlev Mentzel weitere Ziele gesetzt: 20-mal ist er die 42 Kilometer gelaufen, hat sich immer wieder neue Bestzeiten vorgenommen – und Lauf für Lauf erreicht. Mit 63 Jahren ist er in Hamburg in unter vier Stunden angekommen, mit 67 Jahren hat er sich für den Boston-Marathon qualifiziert.

Seine Ziele haben sich mit dem Alter verändert: „Mit 70 muss ich keinen Marathon mehr laufen, habe ich mir gedacht und bin dann auf Halbmarathon umgestiegen“, erzählt er. Seit einer Verletzung am Knie läuft er kürzere Distanzen. Zweimal die Woche ist er unterwegs, zwischendurch geht er immer wieder einige Meter. „Der Bewegungsdrang ist immer noch da – aber man muss ihn an die Grenzen des eigenen Körpers anpassen und zulassen, dass sich die Ziele verändern.“

Wer seine Grenzen im Blick behält, wenn er sich im Alter auf sportliche Herausforderungen einlässt, tut nicht nur seinem Körper etwas Gutes, meint Leyk. „Sich zum Beispiel einer Sportgruppe anzuschließen, bedeutet, dass man sich mental auf etwas Neues einlässt, zwischenmenschliche Kontakte aufbaut, Interesse zeigt, Gespräche führt und offen bleibt.“