DKFZ-Forscher finden Ursache für Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter
Der Rückgang der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter steht mit der versiegenden Neubildung von Nervenzellen im Zusammenhang. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum entdeckten an Mäusen, dass im Gehirn älterer Tiere deutlich mehr Nervenzellen neu entstehen, wenn das Signalmolekül Dickkopf-1 ausgeschaltet ist. Mäuse, deren Dickkopf-Gen stillgelegt war, erreichten bei Tests der räumlichen Orientierung und Erinnerung auch im hohen Erwachsenenalter dieselbe geistige Leistungsfähigkeit wie Jungtiere.
Der Hippocampus – eine Struktur des Großhirns, die von ihrer Form her an ein Seepferdchen erinnert – wird auch als Pforte zum Gedächtnis bezeichnet. Hier werden Informationen gespeichert und abgerufen. Diese Leistung ist abhängig davon, dass im Hippocampus zeitlebens junge Nervenzellen entstehen. „Im Alter nimmt die Produktion neuer Nervenzellen jedoch drastisch ab. Das gilt als eine der Ursachen für das Nachlassen der Merk- und Lernfähigkeit“, erklärt die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Ana Martin-Villalba.
Die Abteilungsleiterin im Deutschen Krebsforschungszentrum sucht mit ihrem Team nach den molekularen Ursachen für das Versiegen des Nerven-Nachschubs. Zuständig für die konstante Neubildung von Nervenzellen sind neuronale Stammzellen im Hippocampus. Bestimmte Moleküle in der direkten Umgebung der Stammzellen entscheiden über ihr weiteres Schicksal: ob sie ruhen, sich selbst erneuern oder ob sie zu einer der beiden Arten spezialisierter Gehirnzellen, Astrozyten oder Nervenzellen, ausdifferenzieren. Zu diesen Faktoren zählt das Signalmolekül Wnt, das die Entstehung junger Nervenzellen fördert. Sein molekularer Gegenspieler „Dickkopf-1“ dagegen kann dies verhindern.
„Im Gehirn von älteren Mäusen finden wir deutlich mehr Dickkopf-1-Protein als bei Jungtieren. Deshalb hatten wir den Verdacht, dass dieses Signalmolekül dafür verantwortlich sein könnte, dass im Alter kaum noch junge Nervenzellen entstehen.“ Ihre Vermutung überprüfen die Wissenschaftler an Mäusen, deren Dickkopf-1-Gen in den Nerven-Stammzellen dauerhaft blockiert ist. Die Tiere hatte Prof. Dr. Christof Niehrs im Deutschen Krebsforschungszentrum entwickelt, auf den auch der Name „Dickkopf“ zurückgeht: Niehrs hatte bereits 1998 entdeckt, dass dieses Signalmolekül während der Gestaltbildung des Embryos die Entwicklung des Kopfes steuert.
Tatsächlich entdeckte Martin-Villalbas Team, dass die Stammzellen im Hippocampus der Dickkopf-Mutanten sich häufiger selbst erneuern und auch bedeutend mehr junge Nervenzellen hervorbringen. Besonders deutlich war der Unterschied bei zwei Jahre alten Mäusen: Bei den Dickkopf-Mutanten dieses Alters zählten die Forscher 80 Prozent mehr junge Nervenzellen als in gleichaltrigen Kontrollmäusen. Darüber hinaus entwickelten sich die neu entstandenen Zellen der erwachsenen Dickkopf-1-Mutanten zu stark verzweigten, leistungsfähigen Neuronen. Die Nervenzellen gleichaltriger Kontrolltiere dagegen waren bereits deutlich verkümmert.
Dickkopf-Blockade verbessert räumliche Orientierung und Erinnerung
Ana Martin-Villalba hatte bereits vor einigen Jahren gezeigt, dass Mäuse ihr räumliches Orientierungsvermögen verlieren, wenn die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus blockiert ist. Können nun im Gegenzug die jungen Neuronen der Dickkopf-Mutanten die kognitive Leistungsfähigkeit der Tiere verbessern? Mit standardisierten Tests untersuchten die DKFZ-Forscher, wie sich die Mäuse in einem Labyrinth orientierten. Während sich bei normalen Kontrolltieren die jüngeren (drei Monate) deutlich besser zurechtfanden als die älteren (18 Monate), zeigten die Dickkopf-1-negativen Mäuse keinen altersbedingten Abbau der räumlichen Orientierung. Auch bei Tests, die das räumliche Erinnerungsvermögen erfassen, schnitten ältere Dickkopf-1-Mutanten besser ab als normale Artgenossen.
„Unser Ergebnis belegt, dass Dickkopf-1 den altersbedingten Abbau bestimmter kognitiver Fähigkeiten vorantreibt“, sagt Ana Martin-Villalba. „Wir hatten zwar erwartet, dass das Ausschalten von Dickkopf-1 die räumliche Orientierung und das Erinnerungsvermögen ausgewachsener Mäuse verbessert. Dass die Tiere jedoch tatsächlich noch im hohen Erwachsenenalter das Leistungsniveau von Jungtieren erreichen, hat uns überrascht und beeindruckt.“
Die Ergebnisse werfen die Frage auf, ob die Funktion von Dickkopf-1 mit Medikamenten ausgeschaltet werden kann. Tatsächlich werden Antikörper, die das Dickkopf-Protein blockieren, bereits klinisch geprüft – zur Behandlung eines ganz anderen Krankheitsbildes. „Es ist faszinierend zu spekulieren, dass ein solcher Wirkstoff den altersbedingten kognitiven Abbau bremsen könnte. Das ist jedoch noch Zukunftsmusik, wir haben gerade erste Versuche an Mäusen gestartet, um diese Frage zu klären.“
Désirée R.M. Seib, Nina S. Corsini, Kristina Ellwanger, Christian Plaas, Alvaro Mateos,
Claudia Pitzer, Christof Niehrs, Tansu Celikel und Ana Martin-Villalba: Loss of Dickkopf-1 restores neurogenesis in old age and counteracts cognitive decline. CELL Stem Cell 2013, DOI: 10.1016/j.stem.2012.11.010
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Quelle: idw.de, 08.02.2013
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