Kein Thema wird Deutschland künftig mehr verändern als das Altern und Schrumpfen der Bevölkerung, so das Berlin-Institut in seiner Demografiestrategie mit dem Titel „Anleitung zum Wenigersein“. Zwar sei das inzwischen in der Politik angekommen, jedoch mangele es der Debatte um den demografischen Wandel an Ehrlichkeit und vor allem an langfristigen Plänen.
„Die Bevölkerungsentwicklung hält unbequeme Wahrheiten bereit. Aber weder Regierung noch Opposition machen dies im Wahlkampf offen zum Thema“, sagt Reiner Klingholz, der Direktor des Berlin-Instituts. „Die Demografiestrategie der Bundesregierung klammert die wichtigsten Baustellen des demografischen Wandels aus und endet zudem im Jahr 2030 – dann, wenn die Alterung ihren größten Einfluss auf die Gesellschaft ausüben wird.“ Erheblichen Nachbesserungs- und Reformbedarf sieht das Institut vor allem in den vier Bereichen Familienpolitik, Fachkräftesicherung, Sozialsysteme und Regionalpolitik.
Der Familienpolitik sei es bisher trotz erheblichen Aufwands nicht gelungen, etwas am Nachwuchsmangel – einer der Haupt-Ursachen für die demografischen Probleme – zu verändern. Sie sei teuer, ineffizient und ohne klares Ziel. Das Berlin-Institut fordert, dass Familienpolitik jene unterstützt, die durch Kindererziehung und Pflege Verantwortung übernehmen – und zwar unabhängig von Ehestand und Verwandtschaftsgrad. Das Ehegattensplitting sei deshalb durch ein Fürsorgesplitting zu ersetzen. Gleichzeitig müsse der Staat eine zuverlässige, qualitativ hochwertige Betreuungsinfrastruktur für Familien fördern und mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten ermöglichen.
Weiteren Reformbedarf sieht das Institut bei der Fachkräftesicherung. Noch immer habe die Aktivierung der „stillen Reserve“ – der Arbeitslosen, der Frauen und der Älteren – Vorrang vor der Anwerbung von Menschen aus anderen Ländern. Die Lücken im Arbeitsmarkt würden jedoch demografiebedingt bald so groß, dass alle Möglichkeiten der Fachkräftesicherung gleichzeitig genutzt werden müssten. Deshalb solle das Land seine Attraktivität für qualifizierte Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern deutlich erhöhen.
Dies sei auch notwendig für den Erhalt funktionierender Sozialsysteme. Denn trotz Nachhaltigkeitsfaktor und Ruhestand mit 67 seien die Renten-, Pensions- und Gesundheitssysteme keinesfalls demografiefest. In ihnen schlummern, so das Institut, enorme finanzielle Lasten, die auf künftige Generationen verlagert werden. Die Berliner Denkfabrik schlägt vor, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, eine zusätzliche private sowie betriebliche Altersvorsorge verpflichtend zu machen und die Rentengarantie, wonach die Renten auch bei schlechter Wirtschaftslage niemals sinken dürfen, zurückzunehmen.
Als letzte Baustelle nennt das Institut den Umgang mit den demografisch stark angeschlagenen ländlichen Regionen: „Wo die Bevölkerung deutlich geschrumpft ist, lässt sich die gewohnte Versorgung schon heute nicht mehr garantieren“, sagt Klingholz. „Die Politik muss sich daher ehrlicherweise vom Primat gleichwertiger Lebensverhältnisse verabschieden. Sie muss einen Ordnungsrahmen für das Kleinwerden, mancherorts sogar für den geordneten Rückzug schaffen.“
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Quelle: idw.de, 12.08.2013
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