Einwanderer aus Italien leben länger als die Angehörigen ihres Gastlandes. Hingegen ist das Sterberisiko ihrer Nachkommen deutlich höher als dasjenige der Einheimischen. Den Einflüssen des Gastlandes mehr ausgesetzt, entfernt sich die zweite Generation vom gesundheitsbegünstigenden südländischen Lebensstil, dem engen familiären Netz und hat schlechtere Bildungschancen als Einheimische. Wobei Männer stärker davon betroffen sind als Frauen, wie die Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich belegt.
Einwanderer aus Italien und ihre Nachkommen bilden eine der grössten Bevölkerungsgruppen in der Schweiz. Trotzdem gibt es kaum Studien über ihren Gesundheitszustand und ihr Sterberisiko. Silvan Tarnutzer und Matthias Bopp vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich berechneten erstmals für die Schweiz unverzerrte Sterberisiken für Personen mit italienischem Migrationshintergrund.
Einwanderer aus Italien leben länger als Schweizer
Verglichen mit in der Schweiz geborenen Schweizern weisen die eingewanderten Italienerinnen und Italiener ein rund 10 Prozent geringeres Sterberisiko auf. Vor allem bei jüngeren Männern schneiden Italiener besser ab als Schweizer, wobei die Unterschiede im hohen Alter immer geringer werden. Auf den ersten Blick erstaunt dieser Befund, denn oft verfügen italienische Einwanderer nur über eine niedrige schulische Bildung und unterdurchschnittliches Einkommen, beides Faktoren, die mit höheren Sterberisiken in Zusammenhang gebracht werden. In die gleiche Richtung wirken auch die, verglichen mit der Schweiz, stärkere Verbreitung von Rauchen und Übergewicht in Italien sowie die schlechtere Beurteilung der eigenen Gesundheit. Als Gegenkraft stehen dem auf der Verhaltensebene bloss der mediterrane Ernährungsstil – häufiger Konsum von Fisch, Obst, Gemüse und Olivenöl – sowie die ausgeprägte soziale Vernetzung gegenüber. Studienerstautor Silvan Tarnutzer geht deshalb davon aus, dass die niedrigeren Sterberisiken hauptsächlich dem sogenannten «healthy migrant effect» zugeschrieben werden können. Darunter versteht man, dass oft besonders gesunde und mutige Menschen migrieren, Schwächere und Kranke sich gar nicht erst nach einer Arbeit im Ausland umsehen oder im Krankheitsfall wieder ins Ursprungsland zurückkehren.
Nachfolgegenerationen mit höherem Sterberisiko
Bei den in der Schweiz geborenen Nachkommen der Migranten fällt dieser Startvorteil weg. Der Lebensstil des Gastlandes beeinflusst die Italiener späterer Generationen während ihrer persönlichen Entwicklung. Sie entfernen sich vom gesundheitsbegünstigenden südländischen Lebensstil und vom engen familiären Netz. So zeigen in der Schweiz geborene Italiener ein 16 Prozent höheres Sterberisiko als Einheimische. «Vermutlich als Folge einer doppelten Belastung durch schlechtere Bildungschancen und einen ungünstigen Lebensstil», sagt Koautor Matthias Bopp. Interessanterweise scheinen die Frauen von dieser ungünstigen Risikokonstellation weniger betroffen. «Die männlichen Nachkommen von italienischen Einwanderern stellen aufgrund ihrer grossen Zahl und ihres durchschnittlich eher niedrigen Alters eine besondere Zielgruppe für Prävention und Gesundheitsförderung dar», schliesst Silvan Tarnutzer.
Hintergrund:
Viele Einwanderer aus Italien haben einen Wohnsitz in der Schweiz und in Italien, so dass Sterbefälle im Ausland in der Schweiz häufig nicht registriert werden. Dies führt zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Sterberisiken.
Durch die Verwendung der «Swiss National Cohort», einer Verknüpfung von Daten aus der Volkszählung von 1990 und dem Sterbe- bzw. Ausländerregister der Jahre 1990 bis 2008 konnten Silvan Tarnutzer und Matthias Bopp vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich diese Unterregistrierung umgehen. Dabei unterschieden sie zwischen der Einwanderergeneration und den in der Schweiz geborenen Nachfolgegenerationen.
Literatur:
Tarnutzer S, Bopp M for the Swiss National Cohort Study Group. Healthy migrants but unhealthy offspring? A retrospective cohort study among Italians in Switzerland. BMC Public Health 2012,12:1104. doi:10.1186/1471-2458-12-1104
Kontakt:
lic. phil. Silvan Tarnutzer
Institut für Sozial- und Präventivmedizin
Universität Zürich
E-Mail: silvan.tarnutzer@ifspm.uzh.ch
Tel. +41 44 634 48 57
Dr. phil. II Matthias Bopp MPH
Institut für Sozial- und Präventivmedizin
Universität Zürich
E-Mail: bopp@ifspm.uzh.ch
Tel. +41 44 634 46 14
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