Bericht Feruar 2011


 

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Funktionen und Möglichkeiten des AnyBody Menschmodells

Das Menschmodell AnyBody ist ein von der Firma AnyBody Technology in Dänemark in Zusammenarbeit mit der Aalborg University entwickeltes System zur biodynamischen Simulation von menschlichen Bewegungen (Rasmussen et al. 2001, AnyBody Technology). Durch das Modell kann das Gesamtkörpersystem inklusive detaillierter Modelle für die Knochen und Muskeln des menschlichen Körpers abgebildet werden. So besteht bspw. das stehende Grundmodell aus insgesamt 22 Starrköpern, 23 Gelenken und 456 Muskeln mit individueller Geometrie, Stärke und Wirkungslinie (siehe Abbildung 1). Zur Modellierung der Muskeln bzw. Analyse der Muskelaktivität differenziert das AnyBody Modell zwischen drei Muskelmodellen:

  1. eine konstante Beanspruchbarkeit ist je Muskel definiert
  2. die Beanspruchbarkeit wird basierend auf der aktuellen Muskellänge und Kontraktionsgeschwindigkeit berechnet
  3. die Beanspruchbarkeit des Muskels wird basierend auf einer Vielzahl von Parametern, wie bspw. die Elastizität der Muskeln und Sehnen, dem Winkel zwischen Muskelfaser und Sehne berechnet.

Darüber hinaus bietet das System die Möglichkeit, anthropometrisch differenzierte Sub-Modelle zu untersuchen. So kann das Menschmodell hinsichtlich Größe und Gewicht skaliert werden (Rausch et al. 2006). Mit Hilfe des Modellansatzes können so unterschiedliche Menschen hinsichtlich anthropometrischer Eigenschaften sowie biomechanischer Aspekte differenziert und entsprechend analysiert werden.

Zur Modellierung und Analyse des Menschmodells in Bezug bzw. im Zusammenspiel mit Umgebungselementen bietet das Modell die Möglichkeit jedes Mehrkörpersystem zu modellieren, so dass Objekte über eine Schnittstelle importiert werden können. So wird zur Analyse der Muskelaktivität eines sitzenden Menschen (AnyBodys) dieser in Kombination mit einem entsprechenden Stuhl modelliert und anschließend simuliert (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Aufbau und Elemente eines sitzenden AnyBody-Menschmodells  (Quelle: Aalborg University)

Abbildung 1: Aufbau und Elemente eines sitzenden AnyBody-Menschmodells (Quelle: Aalborg University)

Mit Hilfe des AnyBody Modells können sowohl statische (Körperhaltungen) als auch dynamische (Bewegungsabläufe) Modelle erstellt und hinsichtlich der muskulären Beanspruchung analysiert werden. Zur Erstellung der Modelle dient die objektorientierte Sprache Anyscript, welche Ähnlichkeiten zu C++ aufweist.

Zur Berechnung der internen Muskelkräfte wird die Methodik der inversen Kinematik angewandt und die Beanspruchung des Modells anhand der Muskelaktivierung, d.h. die vom Muskel erzeugte Kraft in Bezug zur maximal möglichen Kraft, gemessen (siehe Abbildung 2). Der Kraftverlauf der Muskeln wird entsprechend einer vorgegeben Positionierung des Endeffektors bestimmt. Da der menschliche Bewegungsapparat deutlich mehr Muskeln als Freiheitsgrade besitzt und aus mechanischer Sicht als unterbestimmtes Gleichungssystem beschrieben werden kann, dient bei der Muskelrekrutierung des AnyBody Modells das menschliche Verhalten als Vorbild. Ziel ist dabei ähnlich wie beim Menschen die Muskeln auszuwählen, die zu einer minimalen Beanspruchung führen.

Dazu muss in einem ersten Schritt der notwendige Input, d.h. sämtliche kinematischen Freiheitsgrade und externen Kräfte, zur Berechnung der inversen Kinematik zur Verfügung gestellt werden. Darauf aufbauend werden in einem zweiten Schritt, der kinematischen Analyse, die Positionen und Orientierungen aller Segmente berechnet. Anschließend werden die Muskellänge, Kontraktionsgeschwindigkeit und Beanspruchbarkeit der Muskeln bestimmt und basierend auf dem Ziel, die Muskelaktivität zu minimieren (Rasmussen et al., 2003), die für die jeweilige Köperhaltung bzw. Bewegung benötigten Muskeln bestimmt. Als Output des Systems werden die Muskel und Gelenkkräfte, Muskelaktivität und mechanische Leistung ausgegeben (Rassmussen et al., 2001).

Abbildung 2: Berechnung der internen Muskelkräfte mit Hilfe inversen Kinematik

Abbildung 2: Berechnung der internen Muskelkräfte mit Hilfe inversen Kinematik

Anwendungsgebiete und Grenzen des Modells

Das AnyBody Menschmodell wird aktuell vorrangig in der Sportwissenschaft im Rehabilitationsbereich sowie in der Fahrzeugindustrie eingesetzt. Fokus des Modelleinsatzes in der Sportwissenschaft ist die Wirkungsanalyse von Muskelkräften auf Bewegungen und die Optimierung von Bewegungsabläufen. In der Rehabilitation wird das Modell zur Entwicklung von Rehabilitationsgeräten oder Prothesen eingesetzt. Zur optimierten und ergonomischen Gestaltung dieser Produkte dienen die vom Modell aufgestellten Informationen und Analyseergebnisse hinsichtlich äußerer Körperbelastungen. Im Bereich der Fahrzeugindustrie liegt der Fokus in der Analyse von Körperkräften, die bei der Betätigung eines Gaspedals oder einer Schaltung entstehen. Darüberhinaus wird das Modell zur objektiven Komfortbeurteilung von Fahrzeuginnenräumen auf Basis langanhaltender oder ungleichmäßig verteilter Muskelaktivierung eingesetzt (Rausch et al., 2006). Exemplarische Anwendungsscenarios aus den unterschiedlichen Anwendungsgebieten (Positionierung von Objekten im Fahrzeuginnenraum, Analyse von Bewegungsabläufen beim Fahrradfahren sowie die muskuläre Beanspruchung der oberen Extremitäten bei der Verwendung eines Rollstuhls) sind in Abbildung 3 dargestellt.

Anwendungsgebiete im arbeitswissenschaftlichen Bereich, bspw. die ergonomische Gestaltung und Auslegung von Arbeitsplätzen, sind mit dem Modell bisher kaum erforscht. Durch erste eigene Studien auf diesem Gebiet konnte jedoch ein großes Potential des AnyBody Menschmodells für diesen Anwendungskontext aufgezeigt werden.

Abbildung 3: Exemplarische Anwendungsscenarios des AnyBody Menschmodells aus den Bereichen Fahrzeugindustrie, Sportwissenschaft und Rehabilitation

Abbildung 3: Exemplarische Anwendungsscenarios des AnyBody Menschmodells aus den Bereichen Fahrzeugindustrie, Sportwissenschaft und Rehabilitation

Bei der Analyse der Modellergebnisse sollte unabhängig vom Anwendungsbiet berücksichtig werden, dass es sich bei AnyBody um ein Modell und dementsprechend nicht um ein vollumfängliches Abbild der Realität handelt. Der menschliche Bewegungsapparat ist viel zu komplex um ihn allumfassend zu modellieren. Dem Menschmodell liegt demnach eine Vereinfachung zu Grunde bspw. in Form von bestimmten Annahmen, Grenzen und Abstraktionen. Die Ergebnisse des Modells sind entsprechend unter Berücksichtigung dieser aufgestellten Annahmen und Grenzen zu interpretieren. Des Weiteren finden individuelle Eigenschaften des Menschen bspw. hinsichtlich anthropometrischer oder biomechanischer Aspekte nur in verallgemeinerter Form in den Modellansätzen Berücksichtigung.

Ein im Rahmen des demografischen Wandels besonders wichtiger Ansatzpunkt ist die Modellierung und Simulation von altersbedingten Leistungsveränderungen ältere Arbeitspersonen, um so Produkte, Prozesse und Arbeitsplätze auch speziell für diese Nutzergruppe zu gestalten. Die aktuellen AnyBody Modellansätze, bspw. hinsichtlich der Modellierung des menschlichen Muskelsystems, gehen jedoch von einem jungen Menschen aus und bieten keine Möglichkeiten der altersspezifischen Anpassung. Um das AnyBody Modell zukünftig altersdifferenziert auslegen zu können, ist eine detaillierte Analyse der altersbedingten Leistungsveränderungen von entscheidender Bedeutung. Diese Analyse kann als Grundlage für die Anpassung der zu modellierenden Muskeln und Gelenke des Modells dienen.

Im Rahmen des Projektes wird diese Analyse sowohl literaturanalytisch sowie durch eigene empirische Studien vorgenommen. Die empirisch aufgenommen Daten dienen zum einen der Absicherung der Literaturanalyse sowie zur Aufnahme gezielter Werte zur Validierung des Modells.

Literatur

[AnyBody Technology] AnyBody Technology. Zugriff am 28.02.2011: http://www.anybodytech.com/

[Rasmussen et al., 2001] Rasmussen, J., Damsgaard, M., Voigt, M.: Muscle recruitment by the min/max criterion – a comparative numerical study. Journal Biomechanics 34 2001

[Rasmussen et al., 2003] Rasmussen, J., Dahlquist, J., Damsgaard, M., de Zee, M., Christensen, ST.: Musculoskeletal
Modeling as an Ergonomic design Method. IEA Proceedings, 2003

[Rausch et al., 2006] Rausch, J., Siebertz, K., Christensen, S.T., Rasmussen, J.: Simulation des menschlichen Bewegungsapparates zur Innenraumgestaltung von Fahrzeugen. VDI-Berichte 2006

Den Bericht für Januar 2011 finden Sie hier:
http://blog-becker-stiftung.de/?p=2542