Bericht September 2011


 

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Empirische Studie: Bestimmung der muskulären Beanspruchung mittels Elektromyographie (EMG) –Teil 1 Vorstudie

Zur Validierung der vom Menschmodell AnyBody erzeugten Ergebnisse hinsichtlich der muskulären Beanspruchung bei der Bearbeitung von Zeigeaufgaben an einem großflächigen berührungssensitiven Bildschirm, wurde im Rahmen einer Diplomarbeit (Kremer 2011) eine umfangreiche Studie zur Bestimmung der muskulären Aktivierung mittels Elektromyographie durchgeführt. Im Folgenden werden zuerst wesentliche Aspekte der Elektromyographie beschrieben und anschließend die empirische Studie sowie deren wesentliche Erkenntnisse dargestellt.

Exkurs: Elektromyographie

Die Elektromyographie (EMG) befasst sich mit der Entstehung der myoelektrischen Signale, ihrer Messung, Aufzeichnung und Analyse. Durch sie kann der Erregungs- und Kontraktionszustand der Skelettmuskulatur ermittelt werden (Kumar & Mital 1996, Pfeifer et al. 2003, Konrad 2005, Freiwald et al. 2007). Man unterscheidet die Invasive- und die Oberflächen-Elektromyographie.

Die Oberflächen-Elektromyographie (OEMG), welche im Rahmen des Forschungsprojektes angewendet wird, ermöglicht die Erfassung von Signalen mittels Oberflächenelektroden, welche auf der Hautoberfläche in unmittelbarer Nähe des zu untersuchenden Muskels angebracht werden. Die Methode der OEMG wird fast ausschließlich in nicht statischen, also kinesiologischen Untersuchungen angewandt. (Kumar & Mital 1996, Göbel 1996, Pfeifer et al. 2003, Konrad 2005, Freiwald et al. 2007). Ein Nachteil dieser Art von Elektroden ist jedoch, dass nicht alle Muskeln erfasst werden können sondern nur oberflächliche Muskeln abgeleitet werden können.

Exkurs: MVC-Normalisierung

Eine Möglichkeit Messergebnisse zwischen verschiedenen Probanden und Untersuchungen quantitativ vergleichbar zu machen, ist die Normalisierung bzw. Normierung der Amplitudenwerte des gleichgerichteten Roh-EMG-Signals. Das Hauptziel ist es, die absoluten Amplitudenwerte in Mikrovolt in relative Prozentwerte zu transformieren. Dabei werden die Einflüsse der lokalen Ableitbedingungen eliminiert und Amplitudenwerte werden im Verhältnis zu einem Referenzwert angegeben während die Form des EMG-Signals unberührt bleibt (Kumar & Mital 1996, Pfeiffer et al. 2003; Konrad 2005, Freiwald 2007, Burden 2010).

Die bekannteste Normalisierungsmethode ist die Normalisierung nach dem Wert der maximalen willentlichen Kontraktion (MVC). Diese wird im Rahmen des Forschungsprojektes eingesetzt und entsprechend im Folgenden beschrieben.

Bei der MVC-Normalisierung (Maximum Voluntary Contraction) werden die EMG-Amplituden im Verhältnis zu der Amplitude dargestellt, die bei einer maximalen willentlichen Muskelkontraktion auftreten. Die MVC-Messung muss vor einem Versuch im nicht ermüdeten Zustand für jeden Muskel einzeln unter fest definierten Versuchsbedingungen durchgeführt werden.

Um den MVC-Wert des Muskels zu erzeugen, muss der Proband eine Kontraktion des Muskels gegen einen statischen Widerstand durchführen. Die Testposition muss dabei so gewählt werden, dass der Muskel die maximale Innervation erfahren kann und die beteiligten Segmente gut fixiert werden. Die Arme z.B. sollten in einer Zwischenstellung zwischen Flexion und Extension sein. Für die meisten Probanden bedarf es etwas Übung die Muskeln maximal anzuspannen, da es für sie eine ungewohnte Situation darstellt (Konrad 2005, Freiwald 2007).

Der große Vorteil der MVC-Normalisierung ist die Einschätzung neuromuskulärer Beanspruchung für bestimmte Aktivitäten und der Vergleich verschiedener Probanden und Muskeln untereinander. Es können Aussagen getroffen werden, welcher Muskel bei bestimmten Bewegungen eine größere Belastung erfährt als andere. Des Weiteren werden Fehler beim Anbringen von Elektroden relativiert. Liegt beispielsweise eine schlechte Signalqualität vor, ist diese sowohl bei der MVC-Messung als auch bei der späteren Studie vorhanden (Konrad 2005).

Empirische Studie

Die empirische Studie gliedert sich in zwei Teile – einer Vorstudie zur Ermittlung der für die Ausführung der Experimentalaufgabe relevanter Muskelgruppen sowie einer Hauptstudie in welcher die muskuläre Beanspruchung bei der Nutzung des großflächigen Touchscreens bestimmt wird. Die Vorstudie wird in diesem Blogbeitrag beschrieben während die Hauptstudie im nächsten Beitrag vorgestellt und erläutert wird.

Vorstudie

Der menschliche Körper besitzt ca. 400 Skelettmuskeln (Eichardt 2007). Um die muskuläre Beanspruchung bei der Arbeit an einem großflächigen Touchscreen beurteilen zu können, müssten demnach alle Muskeln untersucht werden. Da der Aufwand hierfür nicht zielführend ist, müssen vor Durchführung der Hauptuntersuchung die aussagekräftigsten Muskeln bei der Bearbeitung der Experimentalaufgabe ausgewählt werden. Ziel der Vorstudie ist die Reduzierung auf acht Muskeln, welche durch das acht-polige Messgerät parallel abgeleitet werden können. Die der Vorstudie zu Grunde liegende Forschungsfrage lautet entsprechend:

Welche Muskeln sind bei der Arbeit an einem großflächigen Touchscreen besonders beansprucht bzw. für die ergonomische Beurteilung von Bedeutung?“

Aufgrund der Messung mittels OEMG, können im Rahmen dieser Studie nur oberflächliche Muskeln abgeleitet werden. Nach der Übersicht von Shewmann (2008), welche von der Velamed Medizintechnik GmbH herausgegeben wurde, besteht für eine Körperhälfte die Möglichkeit 57 Muskeln mittels OEMG abzuleiten.

Da die Probanden ausschließlich Rechtshänder sind, wird nur die rechte Körperseite untersucht. Des Weiteren werden nur Muskeln, deren Aktivierung bei der Ausführung der Experimentalaufgabe involviert sind, ausgewählt. Da an der Studie weibliche Probanden teilnehmen wird, aus Gründen der Zumutbarkeit, auf die Untersuchung der Brustmuskulatur verzichtet. Auch der M. flexor carpi ulnaris wird nicht untersucht, da dieser Muskel wegen der Größe der Elektroden nicht selektiv (ohne Cross Talk) gemessen werden kann. Nach Reduzierung der Skelettmuskulatur auf die oberflächigen Muskeln (einseitig), nach Eingrenzung auf das Anwendungsgebiet sowie nach Ausschluss der oben beschriebenen Muskel verbleiben noch 13 potenzielle Muskeln (Unterarm-Extensoren (UEx), Unterarm-Flexoren (UFlex), M. brachioradialis (Brach), M. biceps brachii (BiBra), M. triceps brachii cap. lat. (TriLat), M. triceps brachii cap. long. (TriLang), M. deltoideus pars clav. (DeltaV), M. deltoideus pars acr. (DeltaM), M. deltoideus pars spin. (DeltaH), M. trapezius pars desc. (TraDesc), M. trapezius pars trans. (TraTrans), M. infraspinatus (Infra), M. latissimus dorsi (Lat)).

Im Rahmen der Vorstudie wurden die so vorselektierten Muskeln miteinander verglichen und die am stärksten beanspruchtesten identifiziert. Die Vorstudie wurde mit zwei Probanden durchgeführt. Um die Beanspruchung der Muskeln quantitativ beurteilen zu können, wurde die Aktivität in Relation zur benutzerspezifischen maximalen Muskelaktivität (Maximum Voluntary Contraction (MVC) gesetzt. Dazu wurde zunächst eine Methode zur MVC-Normalisierung entwickelt. Da es keine standardisierten MVC-Testpositionen gibt, wurde für alle 13 eingegrenzten Muskeln eine eigene MVC-Testposition entworfen, die sich an den Vorgaben von VELAMED® orientieren.

Beide Probanden mussten entsprechend in einem ersten Schritt die jeweiligen MVC-Tests (Tests zur Bestimmung der maximalen willentlich ausführbaren Muskelkontraktion) für alle 13 Muskeln durchführen und anschließend die Experimentalaufgabe lösen. Anhand der Ergebnisse des ersten Probanden soll eine Einschätzung gegeben werden, welche Muskeln für die Hauptstudie in Fragen kommen und welche vernachlässigt werden können. Anschließend wurden die Ergebnisse mit den Ergebnissen des zweiten Probanden verglichen und validiert. Als Ergebnis der Vorstudie konnten die acht in Tabelle 1 beschriebenen Muskeln für die Hauptstudie ermittelt werden.

Tabelle 1: Acht im Rahmen der Vorstudie ermittelten Muskeln (Kremer 2011)

Ranking Muskel Mittelwert
1 UEx 13,22
2 TraDesc 7,63
3 DeltaV 6,62
4 Infra 4,37
5 TraTrans 4,23
6 TriLat 3,01
7 UFlex 2,60
8 Brach 2,23

Durch die Bildung von Mittelwerte im Rahmen der Vorstudie geht ein gewisser Informationsgehalt verloren. So könnten durch die Mittelung ausgeschlossene Muskeln bei bestimmten Bewegungen eine sehr hohe Beanspruchung erfahren. Um diese Problematik zu umgehen wurden ebenfalls die Intervalle für jeden Muskel einzeln analysiert. Durch die weitere Analyse konnten die in Tabelle 1 dargestellten selektierten Muskeln bestätigt werden.

Hauptstudie

Im Rahmen der Hauptstudie wurde die Muskelaktivierung für die in der Vorstudie selektierten Muskeln bei der Ausführung einer Zeigeaufgabe an einem großflächigen berührungssensitiven Bildschirm mittels Oberflächen-Elektromyographie (OEMG) abgeleitet (Kremer 2011).

Die Beschreibung der Hauptstudie erfolgt im nächsten Blogbeitrag (Ende Oktober).

Literatur

[Burden 2010] Burden, A. (2010): How should we normalize electromyograms obtained from healthy participants? What we have learned from over 25years of research. Journal of Electromyography and Kinesiology 20. Jg. (6): S. 1023–1035.

[Eichardt 2007] Eichardt, R. (2007): Laborpraktikum. Arbeitsunterlagen zum Laborversuch, Ilmenau.

[Freiwald et al. 2007] Freiwald, J.; Baumgart, C.; Konrad, P. (2007): Einführung in die Elektromyographie. Sport – Prävention – Rehabilitation. Spitta, Balingen.

[Göbel 1996] Göbel, M. (1996): Elektromyografische Methoden zur Beurteilung sensumotorischer Tätigkeiten. O. Schmidt, Köln.

[Kremer. 2011] Kremer (2011). Unveröffentlichte Diplomarbeit an der RWTH Aachen.

[Konrad 2005] Konrad, P. (2005): EMG-Fibel. Eine praxisorientierte Einführung in die kinesiologische Elektromyographie. Version 1.0.

[Kumar & Mital 1996] Kumar, S.; Mital, A. (1996): Electromyography in Ergonomics. Taylor & Francis, London, Bristol, PA.

[Pfeifer et al. 2003] Pfeifer, K.; Vogt, L.; Banzer, W. (2003): EMG Standards der Sportmedizin. Kinesiologische Elektromyographie (EMG). Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 54. Jg. (11): S. 331–332.

[Shewmann 2008] Shewman, T. (2008): Ableitpunkte für Oberflächen-EMG. Hilfe zur exakten und zuverlässigen Positionierung von EMG-Elektroden.